Interview QuesTH
Interview QuesTH

Interview mit Tabea Linnicke und Caro Rebs von QuesTH

Im Interview sprachen wir mit Tabea und Caro über die Hintergründe ihrer Arbeit, typische Herausforderungen in der interkulturellen Arbeit, Feminismus und Queer-sein im Migrationskontext, die Vernetzung in Thüringen sowie über ihre Pläne und Wünsche für die zukünftige Entwicklung von QuesTH.

Das Interview führten Stefanie und Sabine am 25. Januar 2021.

Inhaltswarnung: In diesem Interview wird von häuslicher Gewalt berichtet. 

 ANHÖREN. HERUNTERLADEN. LESEN.

Im Interview sprachen wir mit Tabea und Caro über die Hintergründe ihrer Arbeit, typische Herausforderungen in der interkulturellen Arbeit, Feminismus und Queer-sein im Migrationskontext, die Vernetzung in Thüringen sowie über ihre Pläne und Wünsche für die zukünftige Entwicklung von QuesTH.
Die ehrenamtliche Arbeitsgruppe QuesTH bietet seit 2019 unter dem Dach des QueerWeg e.V.  LSBTIQ* Geflüchtete und Migrant_innen in Thüringen einen geschützten Raum für psychosoziale und rechtliche Beratung, den Austausch rund um die Themen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, aber auch darüber hinaus und gemeinsame Freizeitaktivitäten. Außerdem werden auch Mitarbeiter*innen öffentlicher Einrichtungen, Behörden und sozialer Träger für die Belange der Zielgruppe sensibilisiert.

Arbeitsgruppe QuesTH in Erfurt

Die ehrenamtliche Arbeitsgruppe QuesTH (Queerer Support Thüringen) ist an den Verein QueerWeg angeschlossen und bietet seit 2019 LSBTIQ* Geflüchteten und Migrant_innen in Thüringen einen geschützten Raum für psychosoziale und rechtliche Beratung, organisiert gemeinsame Freizeitaktivitäten und ermöglicht den Austausch rund um die Themen sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität sowie darüber hinaus. Außerdem sensibilisiert QuesTH Mitarbeiter*innen öffentlicher Einrichtungen, Behörden und sozialer Träger bezüglich dieser Themen.

Ansprechpersonen: Mathias Ruh, Tabea Linnicke E-Mail: questh@queerweg.de Instagram

DAS QUESTH INTERVIEW

Stefanie: Hallo Tabea, Hallo Caro. Wie seid ihr als Gruppe entstanden, wie lange gibt es euch und was waren eure Ziele, als ihr euch zusammengefunden habt?

Tabea: Wir haben uns im Jahr 2019 zusammengefunden, das war so im April oder Mai. Die Idee entstand aus der Praxis, weil zwei unserer Mitstreiter_innen in der Migrationsarbeit gesehen haben, dass es für queere Geflüchtete in Erfurt nicht unbedingt Anlaufstellen gibt. Es gibt zwar den Verein Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Thüringen e.V. für ganz Thüringen, aber speziell für queere Geflüchtete und Migrant_innen gab es noch keine Anlaufstelle. So hat sich aus der Praxis heraus die Idee entwickelt. Caro, willst du noch was zur Zielstellung sagen? MEHR LESEN

Sabine: Wie finden die Menschen euch denn?

Tabea: Das ist tatsächlich ganz unterschiedlich. Teilweise gehen Klient*innen direkt auf den Kollegen zu, der in der Gemeinschaftsunterkunft arbeitet. Es kommt aber eben auch vor, dass sie zu uns geschickt werden. Zum Beispiel hatten wir kürzlich eine Anfrage aus Jena. Es wird sich zum Beispiel an REFUGIO gewandt, dann wendet sich REFUGIO an uns und fragt an, was möglich ist. Und ansonsten glaube ich, dass das einfach auch viel über Mundkommunikation läuft. Teilweise kommen aus Suhl (Erstaufnahmeeinrichtung, Anmerkung von Atalante) auch manchmal Anfragen, oder Caro? Da kannst du vielleicht ein bisschen mehr dazu sagen. MEHR LESEN

Stefanie: Habt ihr in Bezug auf queer oder Feminismus eine Art Selbstverständnis oder ist das gar nicht nötig für eure Arbeit?

Tabea: Unser feministisches Selbstverständnis ist, dass die Aufhebung von Hierarchien angestrebt wird. Dass das unser Ziel ist, merkt man bei uns als Gruppe glaube ich auch in dem Sinne, dass wir keine Hierarchien unter den Ehrenamtskolleg_innen haben. Es ist nicht so „Eine*r hat den Hut auf“, sondern wir schauen schon, dass da nicht diese Hierarchie-Ebene existiert und, dass die Geschlechterrollen, wie sie immer noch in der Gesellschaft in der Norm festgeschrieben sind, und die Stereotypen überwunden werden.

Caro: Ich denke, dass ist auch noch mal ein großer Punkt gerade in der Migrationsarbeit. In einigen Kulturkreisen, die wir betreuen, sind die Hierarchien und die Geschlechterrollen noch viel, viel mehr ausgeprägt. Und das ist auch unser Selbstverständnis bei QuesTH: Die Hierarchien unter den Ehrenamtlichen, aber eben auch gemeinsam mit den betreuten Geflüchteten zu überwinden. MEHR LESEN

Sabine: Was gibt es denn, was besonders anstrengend oder nervig in eurer Arbeit ist und im Gegenzug dazu, was sind denn so die schönen und motivierenden Momente?

Caro: Ich beginne mal mit dem Anstrengenden und Tabea macht dann die motivierenden Sachen. Also, ich muss sagen, ich empfinde es gerade im Ehrenamt als sehr anstrengend, überhaupt Ehrenamtliche zu akquirieren. Wir haben große Probleme Leute zu finden, die dauerhaft dabei sei wollen, die sich auch dauerhaft engagieren. Wir hatten bisher in den fast zwei Jahren einen ziemlich großen wechselnden Kreis an Ehrenamtlichen. Bei uns wird viel Wert darauf gelegt, auch unter den Ehrenamtlichen, dass alles auf Freiwilligkeit basiert. Wenn jemand keine Zeit mehr dazu hat, dann ist das auch okay. Es ist aber wirklich schwierig, jemanden langfristig zu gewinnen und das auch unter den Geflüchteten. Sie sollen nicht nur in der Betreutenrolle bleiben, sondern wir wollen diese auch motivieren, sich ehrenamtlich zu engagieren und vielleicht mal eine Aktion zu planen oder sich einfach mal einzubringen. Das ist bei den Migrant*innen wie bei den Deutschen nicht gerade das einfachste Thema. MEHR LESEN

Stefanie: Gibt es da so eine Sache, wo ihr sagt, das war so die wichtigste Aktion oder das wichtigste Teilprojekt? Oder ist für euch das Wichtigste sogar einfach das kontinuierliche Anbieten von Angeboten?

Tabea: Ich würde jetzt denken, dass dieses kontinuierliche Angebot das wichtigste ist und auch zu sehen, wie wir als Arbeitsgruppe eigentlich wachsen. Wir haben jetzt zum Beispiel auch ein Büro, wonach wir sehr lange gesucht haben und das ist einfach für uns als Arbeitsgruppe auch schön zu sehen, dass wir weiterhin wachsen und uns stetig weiterentwickeln. Ansonsten glaube ich, war jedes Treffen irgendwie einzigartig. Also jeder hat Erinnerungen, ob es jetzt das Wandern war oder die Stammtische oder die Fortbildung oder in den Zoo gehen, also so ganz banale Kleinigkeiten. Aber es ist einfach so dieses Miteinander, das sehr stärkend wirkt.

Caro: Ich schließe mich da auch an. Ich finde es natürlich auch total schön zu sehen, wie unsere Arbeitsgruppe wächst, aber auch, wie sich die Klientinnen untereinander ihr eigenes Netzwerk aufbauen. Ich glaube, viele haben sich auch bei uns kennengelernt, haben sich angefreundet und sind auch privat vernetzt. Das sind auch Sachen, die wir vielleicht gar nicht mitkriegen und das bestätigt einen dann doch, dass es vielleicht ganz gut ist, was wir so machen.

Stefanie: Habt ihr als Gruppe queere oder feministische Kämpfe, Bewegungen oder Personen, denen ihr euch sehr verbunden fühlt oder die Vorbilder für euch sind?

Tabea: Die haben wir als Gruppe jetzt tatsächlich insgesamt eher nicht. Ich glaube, da hat jeder so ein bisschen persönliche Vorbilder. Was ich selbst immer ganz gern als meine persönliche Motivation nehme, ist für diese Ehrenamtsarbeit generell zu sehen, was andere ehrenamtliche Aktivistinnen oder Organisationen machen, wie zum Beispiel die Seebrücke oder seawatch oder Frauen-Aktionsbündnisse. Das ist das, was mich motiviert immer weiter zu machen. MEHR LESEN

Zum Beispiel Frauen, die aus einer gewalttätigen Ehe kommen, die daraus ausgebrochen sind, sich Hilfe gesucht haben und die wirklich emanzipiert leben wollen. Man arbeitet mit den Leuten und muss sich auch immer bewusst machen, was sie für einen schwierigen Weg hatten: Manche wurden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von den Familien verstoßen, können nicht mehr in ihr Heimatland zurück, weil ihnen dort der Tod droht. Das sind Geschichten, wo ich sage „Die sind so stark“ und das macht sie einfach zum Vorbild.  

Sabine: Was glaubt ihr unterscheidet feministische Kämpfe im migrantischen Kontext und denen früher? Was ist also heute möglich im Vergleich zu früher?

Caro: Ich denke, die feministischen Kämpfe früher, also gerade wenn man nicht nur fünf Jahre zurück geht, sondern 60 oder 70 Jahre, unterscheiden sich, glaube ich, nicht wirklich von den Kämpfen, die die Migrant*innen heute führen. Deutschland ist in der Gleichstellung einfach weiterentwickelt. In vielen Kulturen ist es einfach noch so, dass die Frauen unterdrückt werden, dass es eine Hierarchie und stark ausgeprägte Geschlechterrollen gibt. Diese sind kulturell verankert, wodurch die Entwicklung nach der Flucht hin zu einer Gleichstellung einen Prozess darstellt. Daher denke ich, dass es in der Migrationsarbeit viele Parallelen zu den feministischen Kämpfen von früher gibt. MEHR LESEN

Stefanie: Habt ihr in der Arbeit mit euren Klient*innen Erfahrungen damit, wie sie mit den Widersprüchen umgehen zwischen den eigenen Ansprüche an ihre Identität und der Geschlechterrolle, der sie zugeordnet werden und gerade auch damit, dass an diese Rolle in ihrem Heimatland oder in ihrer Kultur vielleicht andere Erwartungen gestellt sind als hier Deutschland?

Caro: Ja in der Migrationsarbeit hat man oftmals mit Ansprüchen an die eigene Identität oder Geschlechterrolle zu tun. Es ist in vielen Kulturen immernoch eine klare Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau gegeben. Der Mann geht arbeiten und regelt alles Organisatorische, die Frau kümmert sich um den Haushalt und die Kinder. Die Geflüchteten werden dann in Deutschland mit ganz anderen Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert, beispielsweise durch Behörden. Ihnen werden aber auch andere Möglichkeiten und Rechte präsentiert, die so in ihren Heimatländern nicht existieren. Die Adaption an diese neue Situation ist für Geflüchtete nicht immer einfach und stellt einen Prozess dar. Diesen muss man auch in der Beratung unterstützen und eine klare Einstellung zur Aufhebung der Geschlechterrollen und Gleichstellung vertreten. MEHR LESEN


Sabine: Wie seid ihr denn vernetzt in Thüringen und wie nehmt ihr die Vernetzung in Thüringen wahr?

Tabea: Also die Vernetzung läuft gut, könnte aber noch besser sein. Dadurch, dass wir alle hauptamtlich berufstätig sind und auch Vollzeit arbeiten, ist nicht so viel Zeit zur Vernetzung. Aber wir sind mit den wichtigsten Anlaufstellen verbunden. Es wissen auch viele freie Träger, dass es uns gibt; wir sind mit Refugio im Austausch, mit TIAM, mit dem QueerWeg natürlich. Wenn QueerWeg irgendwelche Anfragen bekommt, dann werden die auch an uns weitergeleitet. Aber es könnte natürlich besser laufen, gerade was die einzelnen Landkreise anbelangt, beispielsweise Nordhausen oder Altenburg. Dort kommen einige Klient*innen her und die erfahren dann vielleicht über Umwege, dass es uns gibt. Die direkte Vernetzung, zum Beispiel zu freien Trägern oder anderen Ehrenamtsgruppen in diesen Regionen existiert eigentlich noch gar nicht. MEHR LESEN

Aber wir sind auch froh, dass wir manche Klient*innen auch davor bewahren können, wieder in die Großstädte abzuwandern. Also, weil viele auch so sagen „Köln, Berlin, München sind so weltoffen“. Das kann man auch irgendwie verstehen, aber vielleicht überlegen sie es sich noch mal, wenn sie einfach merken, dass es hier auch nette, liebe weltoffene Menschen und letztlich auch eine Community gibt. Also ich glaube schon, dass sich durch unsere Arbeitsgruppe auch eine kleine Community in Thüringen gebildet hat.  

Stefanie: Ihr habt jetzt immer gesagt, ihr seid alle ehrenamtlich, also ihr habt keine Hauptamtlichen. Aber ihr habt ein Büro. Wie ist das zustande gekommen?

Caro: Wir waren schon länger auf der Suche nach einem Büro. Wir wollten gerne Büroräume haben, die nicht öffentlich bekannt sind, damit wirklich ein geschützter Rahmen gegeben ist. Dass wenn Migrant_innen aus- und eingehen, nicht erkannt wird, was genau das für ein Ort ist. Das ist in Erfurt natürlich eine absolute Katastrophe. Jetzt sind wir aber Gott sei Dank fündig geworden. Es ist nicht von außen sichtbar und wir haben wahrscheinlich auch ab April die Möglichkeit für eine Erweiterung, sodass wir noch einen großen Gruppenraum bekommen können, wo wir auch Veranstaltungen machen können. Wir wollen dann auch gerne, wenn es Corona-bedingt dann wieder geht, eine offene Sprechzeit anbieten. Wir möchten, dass regelmäßig jemand von uns Ehrenamtlichen vor Ort ist, dass sich die Geflüchteten auch ohne Terminabsprache an uns wenden können. Natürlich sind Termine bei Bedarf zu anderen Zeiten auch möglich.

Stefanie: Also eure Treffen finden in Erfurt statt und ihr habt ja schon angesprochen, dass es für Leute, die nicht aus Erfurt kommen, nicht so einfach ist da hin zu kommen, habt ihr dafür noch Ideen oder Pläne?

Tabea: Der Grundgedanke war auch, dass wir irgendwann so weit sind – was wir auch immer noch hoffen – sodass wir irgendwann eine mobile Beratung anbieten können. Und dass wir vielleicht auch irgendwann eine Teilzeitstelle bekommen. Das wird nicht sofort gehen, dass muss es auch gar nicht, aber dass wir im Laufe der Zeit eine mobile Beratung in den Landkreisen anbieten können und vielleicht auch in der Erstaufnahmeeinrichtung. MEHR LESEN

Stefanie: Herzlichen Dank für das spannende und interessante Interview.

Tabea: Ja danke auch an euch, dass wir die Möglichkeit hatten uns vorzustellen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Nach Oben

Atalante bündelt alles was mit Feminismus und Frauenpolitik in Thüringen zu tun hat.

Was ist Atalante?

Wer ist Atalante?

Unser Team!

Woher kommt der Name Atalante?

Übersetzen?