Interview Frauenhaus Gotha
Interview Frauenhaus Gotha

Interview mit Anja Wild vom Frauenhaus Gotha

Im Interview mit ihr sprachen wir über ihre Arbeit im Frauenhaus Gotha, die Organisation und Bedeutung von Frauenhäusern im Allgemeinen, aktuelle und immerwährende Herausforderungen, die Gründungszeit der Frauenhäuser nach der Wende, über das Verhältnis zwischen Umgangsrecht und Frauenschutz, aber auch über die schönen Momente ihrer Arbeit.

Das Interview führten Natalie und Stefanie am 07. Januar 2021.

Inhaltswarnung: In diesem Interview wird von häuslicher Gewalt, Konflikten bei der Durchsetzung des Umgangs- und Sorgerechts sowie von Gewalt gegen Kinder berichtet. 

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Im Interview mit ihr sprachen wir über ihre Arbeit im Frauenhaus Gotha, die Organisation und Bedeutung von Frauenhäusern im Allgemeinen, aktuelle und immerwährende Herausforderungen, die Gründungszeit der Frauenhäuser nach der Wende, über das Verhältnis zwischen Umgangsrecht und Frauenschutz, aber auch über die schönen Momente ihrer Arbeit.
Das Frauenhaus Gotha gibt es seit 1992. Es ist zuständig für die Stadt und den Landkreis und bietet dort Frauen und deren Kindern, die von körperlicher, seelischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen sind Schutz, Sicherheit, Hilfe und Beratung. Darüber hinaus bieten die Mitarbeiterinnen auch persönliche Beratung unabhängig von der Aufnahme ins Frauenhaus an.

DAS FRAUENHAUS GOTHA

Das Frauenhaus Gotha gibt es seit 1992. Es ist zuständig für die Stadt und den Landkreis und bietet dort Frauen und deren Kindern, die von körperlicher, seelischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen sind Schutz, Sicherheit, Hilfe und Beratung. Darüber hinaus bieten die Mitarbeiterinnen auch persönliche Beratung unabhängig von der Aufnahme ins Frauenhaus an.

Anja Wild ist seit 2016 die Leiterin des Frauenhauses. Sie ist vor allen Dingen für die Finanzen verantwortlich und hauptverantwortlich für den reibungslosen Ablauf, aber auch bei alle anderen Aktionen und Verantwortlichkeiten mit dabei. 

Adresse: FH Gotha PF 100 133 / 99851 Gotha

Telefon: 03621/403209 E-Mail: info@frauenhaus-gotha.de Webseite: frauenhaus-gotha.de

DAS FRAUENHAUS GOTHA INTERVIEW

Natalie: Hallo Anja. Beginnen wir doch bei der Struktur. Wie ist denn an sich das Frauenhaus Gotha organisiert. Wer arbeitet alles mit, wer ist Träger und gibt es auch Ehrenamtliche?

Anja: Der Träger ist ein Trägerverein, wie bei den meisten Frauenhäusern in Thüringen. Das ist geschichtlich begründet. 1992 haben sich viele Frauen zusammengetan und haben erst einen Verein gegründet und dann eben die Frauenhäuser. Weil die Frauenhäuser einen Trägerverein brauchen, der sozusagen die Geschäftsführung übernimmt, ist das in Gotha auch so. Das ist der Verein für Frauen und Kinder in Not e.V. – ein sehr kleiner Verein. Da sind im Moment vier Vorstandsvorsitzende, die uns unterstützen und der Verein ist auch unser Arbeitgeber. Er ist im Prinzip auch der Ansprechpartner und Beantrager für Zuwendungen und Ähnliches. Das Ministerium1 Gemeint ist das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie welches zusammen mit der jeweiligen Kommune die Frauenhäuser finanziert. (Anmerkung der Redaktion) zum Beispiel wendet sich immer an den Verein und da an den Vorstand. Wenn irgendwelche Dinge sind, dann landet das, was wichtig ist, über den Vorstand bei mir auf dem Tisch. MEHR LESEN

Stefanie: Also obwohl ihr so eine Art Hausmeister habt, fallen immer noch Hausmeister:innen-tätigkeiten auf euch zurück?

Anja: Ja, er macht halt so die wichtigsten Sachen, irgendwelche Montagearbeiten oder ähnliches, aber ein richtiger Hausmeister ist er nicht. Also Rasenmähen, mal Unkraut jäten vorm Haus – wir haben vorne dran einen Gehsteig gepflastert, auch das bringt Arbeit mit sich – so einen Kram machen entweder wir oder unsere ehrenamtliche Helferin, die ab und an vorbeikommt. MEHR LESEN

Natalie: Ihr seid ja in Gotha, würdest du sagen, dass es strukturelle oder auch regionale Besonderheiten gibt für das Frauenhaus in Gotha?

Anja: Ich denke jedes Haus hat so ein bisschen seine Besonderheiten. Klar, macht das einen 

Unterschied ob ich jetzt wirklich im ländlichen Raum bin oder ob ich irgendwo im Stadtbereich verortet bin. Ich denke Gotha ist so ein Mittelding. Aber klar hat jedes Haus seine eigenen Gegebenheiten und vor allen Dingen deshalb, weil wir hier von unseren Kommunen abhängig sind. Die Förderlandschaft sieht ja so aus, dass das Land Thüringen 2008 die Verantwortung für den Frauenschutz an die Kommunen abgegeben hat, aus dem Bedürfnis heraus – unterstelle ich jetzt einfach mal – Gelder zu sparen. Das hatte zur Folge, dass auch etliche Frauenhäuser geschlossen wurden. Der Grundgedanke war: „Bitte liebe Kommune, ihr nehmt jetzt das Frauenhaus in eure Verantwortung, ihr seid jetzt für die Zuwendung zuständig.“. MEHR LESEN

Wir haben auch immer wieder Bewohnerinnen, die auch noch Jahre später immer mal zu uns kommen und sagen „Hier bin ich und ich wollte mal erzählen, wie es mir gegangen ist und einfach mal Hallo sagen.

Natalie: Was steht denn in so einer #Leistungsvereinbarung drin?

Anja: Im Großen und Ganzen steht da zum einen natürlich drinnen, was das Frauenhaus zu erbringen hat. Auch der #Betreuungsschlüssel ist festgelegt. Dann was das Frauenhaus und die Mitarbeiterinnen alles leisten und es steht drinnen, was der Landkreis dafür dann an Zuwendungen erbringt, in welcher Form das abgerufen werden kann und in welcher Form die #Verwendungsnachweise zu erbringen sind. Es ist auch vereinbart, wer Ansprechpartner ist. In der Regel sind das die #Gleichstellungsbeauftragten, mit denen wir dann in Kontakt sind und die auch regelmäßig herkommen, mit denen wir dann Arbeitsgemeinschaften haben und uns austauschen, wo Hilfe benötigt wird. So etwa ist die Leistungsvereinbarung gestrickt.

Natalie: Ich hatte befürchtet, dass da auch Fallzahlen vereinbart sind, wie viele Frauen betreut werden müssen, weil das wäre ja finster!

Anja: Das hatten wir mal ganz kurz. 2008 kam eine Fallpauschale, das war natürlich absolut fatal. Die Feuerwehr ist auch nicht nach Fällen finanziert und so ähnlich sehen wir uns auch. Es gibt Jahre, wo wir richtig voll sind und es gibt Jahre, wo wir eben nicht so eine hohe Belegung haben. Das fängt schon damit an, dass wir fünf Räume haben und 12 Plätze, weil natürlich die Kinder mit dazu gehören. Also wir nehmen Frauen und ihre Kinder gemeinsam auf und unsere fünf Räume sind unterschiedlich gestaltet. Das heißt wir haben Einzelzimmer, wir haben ein Doppelzimmer, wir haben zwei Dreier-Zimmer und ein Vierer-Zimmer. Es ist so gedacht, dass jede Frau ihren eigenen Raum hat und mit ihren Kindern in diesem einen Raum ist. Wenn ich jetzt aber beispielsweise drei Frauen habe, die alleine zu uns kommen, ist natürlich die Bettenbelegung nicht so riesig, das bedingt dann einfach solche Sachen, das ist sehr unterschiedlich.

Stefanie: Wie sind Frauenhäuser gesellschaftlich oder auch politisch angesehen? Kannst du noch mal genauer darauf eingehen, welche Rolle Frauenhäuser in der Gesellschaft bei uns in Deutschland spielen? 

Anja: Ich denke da muss man differenzieren. Also zum einen ist häusliche Gewalt nach wie vor ein Tabuthema. Und es ist schon so, dass Frauenhäuser oder überhaupt der Gewaltschutz für Frauen und ganz klar auch für Männer – da sogar noch viel schlimmer, muss man sagen – sehr stiefmütterlich behandelt werden.  MEHR LESEN

Natalie: Könntest du vielleicht noch etwas mehr zur Entstehungsgeschichte erzählen? Also wie sind die Frauen damals zusammengekommen und was war ihre Motivation?

Anja: Ja, aber da kann ich nur vom Hörensagen erzählen. Das waren wie gesagt engagierte Frauen, die der Meinung waren, dass nach der Wende jetzt auch in dem Bereich was getan werden müsste. Die haben sich zusammengetan und haben dann in der Stadt Gotha auch einen Ansprechpartner gefunden. Damals waren ja auch die #Gleichstellungsbeauftragten schon im Amt oder wurden kurz danach ins Amt gesetzt und die haben da wohl offensichtlich sowohl von der Stadt als auch vom Landkreis eine durchaus breite Unterstützung erfahren. MEHR LESEN

Was in den letzten ein, zwei Jahren aufgeploppt ist und uns – und noch viel mehr natürlich unsere Bewohnerinnen – vor große Herausforderungen stellt, ist eine, ich sage mal, zunehmend patriarchalere Betrachtung des Sorgerechts.

Natalie: Wie siehst du heute die Verbindung von Frauenhäusern mit frauenpolitischen und feministischen Bewegungen wie #MeToo? Gibt es da eine Verbindung?

Anja: Eigentlich wäre es wünschenswert, dass es da mehr Verbindungen gäbe, weil letztendlich die Anliegen der Frauenhäuser auch frauenpolitische sind und letzten Endes auch feministische Ansinnen. Denn viele Dinge, wie das #Gewaltschutzgesetz oder solche Dinge wie #Nein heißt Nein müssen ja vorangebracht werden. Und sie wurden auch vorangebracht und das hat ja auch Auswirkungen auf unsere Arbeit. Insofern wäre eine Verflechtung schon recht wichtig, aber ich muss auch sagen, dass wir dazu fast keine Kapazitäten frei haben. Über die Arbeit im Frauenhaus hinaus aktiv zu werden, dazu fehlt uns einfach die Zeit.

Stefanie: Welchen feministischen oder auch allgemein sozialen Kämpfen fühlst du selbst dich verbunden?

Anja: Also Kämpfe sind nicht mein Ding, aber nichtsdestotrotz muss man auf Probleme aufmerksam machen. Also ich verfolge schon den Konflikt um die #Paritätsgesetze, die ja jetzt abgebügelt wurden, was ich sehr schade finde. Mehr Gleichberechtigung einzufordern in allen Bereichen, ist nach wie vor immer noch ein Thema und Corona hat uns jetzt sehr eindrücklich vor Augen geführt, wie weit es mit der Gleichberechtigung ist. Das ist schon echt ein trauriges Kapitel, weil die Hauptleidtragenden auch in beruflicher Hinsicht halt mal wieder die Frauen sind, weil die das mehr oder weniger unter einen Hut zu bringen haben, während viele Männer sich da einfach ganz elegant raus ziehen und sagen „Nö, meine Arbeit ist so wichtig, bei dir nicht ganz so dolle.“ MEHR LESEN

Stefanie: Findest du, das sind auch aktuelle Herausforderungen, die ihr auch in der Arbeit im Frauenhaus merkt?

Anja: Klar, also aktuelle Herausforderungen haben wir in der Corona-Krise ganz eindeutig. Es ist sehr schwierig den Infektionsschutz in einem Frauenhaus aufrecht zu erhalten und das ist es, was uns im Moment besonders umtreibt, klar. Wir haben keine Ersatzwohnung, die wir irgendwie nutzen könnten, wenn Quarantäne erfolgt. Es wurde uns vom Landkreis gesagt, dass wir da auch nichts bekommen. Wenn eine Quarantäne notwendig wird, sollen wir eine Trennung herbeiführen, wo ich sage: „Wie soll das funktionieren?“. Wir haben eine WG-Situation, wir haben Gemeinschaftsräume. MEHR LESEN

Natalie: Abgesehen von dieser spezifischen Herausforderung gab es ja an sich schon immer Herausforderungen. Meinst du, dass die sich im Laufe der Zeit maßgeblich verändert haben oder sind die Herausforderungen eher gleichgeblieben?

Anja: Ich denke die Herausforderungen sind in vielen Bereichen gleichgeblieben. Wir haben natürlich durch gesetzliche Veränderungen teilweise andere Handhabungsmöglichkeiten. Das #Gewaltschutzgesetz mit der #Wegweisung ist natürlich eine Option, die mittlerweile gegeben ist. Das ist hilfreich in manchen Fällen, in anderen Fällen geht es halt nicht, weil der Typ Verwandtschaft um die Ecke hat oder einen Freund ein Stockwerk höher oder die Frauen sagen: „Nee der ist so gewalttätig, der steht dann unten an der Tür und wartet auf mich“. Das Gewaltschutzgesetz hilft eben nicht immer, aber es gibt schon ein bisschen Handhabe. MEHR LESEN

Natalie: Wir hätten noch eine Frage und die passt ja jetzt hervorragend. Also, wenn du etwas sofort ändern könntest, was wäre das?

Anja: Also, wenn ich etwas sofort ändern könnte, dann wäre das eine verbindliche Fortbildungspflicht für alle Familienrichter*innen, inklusive eines Praktikums in einem Frauenhaus. Zwei Wochen hier und vielleicht noch zwei Wochen bei der #Täter-Arbeit, weil die kommt auch furchtbar zu kurz, das muss man auch sagen. In Thüringen gibt es das #Projekt Orange und das war’s dann. Es müsste da viel mehr geben. Und dann würde ich mir absolut wünschen, dass die Finanzierung der Frauenhäuser endlich gesichert ist und es einen Rechtsanspruch gibt. Denn solange das freiwillige Leistungen sind, sind wir auf dem Schleuderbrett.

Stefanie: Kannst du kurz einen Einblick geben in einen Arbeitstag, wie der so aussieht, was sind so die Haupttätigkeiten oder was dich so umtreibt an so einem Tag?

Anja: Erstmal stehen natürlich die Frauen im Vordergrund, also die Bewohnerinnen. Wir stehen natürlich jeden Tag im Austausch, unser Büro ist ja auch jeden Tag geöffnet – es sei denn wir haben halt die Türe zu und das „Bitte nicht stören“-Schild draußen. Ansonsten können unsere Bewohnerinnen jederzeit zu uns ins Büro kommen mit ihren Anliegen. Das heißt in der Regel mache ich morgens, wenn ich ins Frauenhaus komme, erst mal eine kurze Runde durchs Haus, schaue mal was so Sache ist, begrüße die Frauen, die da sind und schaue, dass ich mit den meisten ein paar Worte wechsle. Die Frauen sind ja auch sehr unterschiedlich. MEHR LESEN

Natalie: Mir persönlich steckt diese Geschichte mit dem Frauenschutz und der #Diskrepanz zum #Umgangsrecht noch sehr in den Knochen, weswegen wir gerne mit einer positiven Sache einen Abschluss finden wollen, außer du hast noch Punkte, die du gerne erzählen möchtest?

Anja: Ich überlege gerade, ob da noch was ist. Naja, was ich sagen kann ist, dass wir schon auch im Kreis eine breite Unterstützung erfahren und obwohl häusliche Gewalt immer noch ein Tabuthema ist, kriegen wir auch immer wieder Sachspenden oder auch mal eine kleine Geldspende für den Verein, wo wir sehen, dass das Thema trotzdem auch bei den Menschen präsent ist. Und das ist eigentlich eine sehr schöne Sache.

Natalie: Kommen wir zum nächsten Schönen. Was sind denn so Momente in deiner jetzt 6-jährigen Arbeit im Frauenhaus Gotha, wo du dich einfach super gerne dran erinnerst, weil das einfach so ein schöner Moment für dich war?

Anja: Die schönsten Momente sind halt, wenn wir Frauen in eine Wohnung vermittelt haben und dann hier ihre Sachen in unser Auto packen und sie zu der neuen Wohnung fahren und wir wissen, dass sie jetzt einen neuen Start hat. Das sind eigentlich so die Highlights, an denen wir uns wirklich immer sehr erfreuen. Das ist wirklich immer eine sehr, sehr schöne Sache. MEHR LESEN

Stefanie: Es gäbe zwar noch viele Fragen, die wir stellen könnten, aber die würden den Rahmen hier sprengen, deshalb vielen herzlichen Dank und alles Gute.


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