Interview Frauen für den Nahen Osten
Interview Frauen für den Nahen Osten

Interview mit Medine Yilmaz von Frauen für den Nahen Osten e.V.

Im Interview mit ihr haben wir vieles über die Arbeit und Struktur der Frauen für den Nahen Osten e.V. erfahren und über feministische Perspektivwechsel, insbesondere wenn es um die Situation von Frauen in Regionen des Nahen Ostens geht, gesprochen.

Das Interview führten Steffie und Natalie am 25.01.2021.

Inhaltswarnung: In diesem Interview wird von Fluchterfahrung, Fluchtgeschichte und Diskriminierungserfahrung mit Kopftuch berichtet.

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Im Interview mit ihr haben wir vieles über die Arbeit und Struktur der Frauen für den Nahen Osten e.V. erfahren und über feministische Perspektivwechsel, insbesondere wenn es um die Situation von Frauen in Regionen des Nahen Ostens geht, gesprochen.
Der Verein wurde 2016 gegründet und arbeitet ausschließlich ehrenamtlich. Es gibt ungefähr 80 Fördermitglieder und einen aktiven Vorstand, der, bestehend aus 4-5 Frauen, sehr aktiv ist und handlungsbefugt ist. Medine Yilmaz ist Konferenzdolmetscherin mit kurdischem Migrationshintergrund und war beruflich schon in vielen Konfliktregionen unterwegs, zum Beispiel während des Krieges im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens.

Frauen für den nahen Osten e.V.

Der Verein wurde 2016 gegründet und arbeitet ausschließlich ehrenamtlich. Es gibt ungefähr 80 Fördermitglieder und einen aktiven Vorstand, der, bestehend aus 4-5 Frauen, sehr aktiv ist und handlungsbefugt ist. Medine Yilmaz ist Konferenzdolmetscherin mit kurdischem Migrationshintergrund und war beruflich schon in vielen Konfliktregionen unterwegs, zum Beispiel während des Krieges im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens.

Adresse: Frauen für den Nahen Osten e.V. Mörike Str. 3, 99096 Erfurt  Telefon: 0163 364 913 2 E-Mail: info@ffdno.org 

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INTERVIEW

Natalie: Hallo Medine. Wir wollen mit ein paar grundlegenden Fragen zu eurem Verein beginnen: Kannst du kurz darüber sprechen, wie ihr euch zusammengefunden habt, welche Ideen und Ziele ihr dabei hattet und was der Bereich ist, in dem ihr arbeitet?

Medine: Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, habe ich mich ehrenamtlich engagiert und auch auf professioneller Ebene im Ministerium gearbeitet im Bereich Migration. Gleichwohl mir Verwaltungsarbeit nicht so sehr am Herzen liegt, wollte ich die entsprechenden Rahmenbedingungen mitgestalten, um das Ankommen der Geflüchteten hier zu erleichtern. Später habe ich mir die Frage gestellt: „Okay, was ist mit den Menschen, die es nicht schaffen, nach Deutschland zu fliehen? Wie können wir ihnen helfen?“. MEHR LESEN

Natalie: Das ist ein ganz spannender Punkt. Ich würde fast sagen, das ist eigentlich eine ganz wichtige Herausforderung, die aber wenig Thema ist.

Medine: Weil es ein unangenehmes Thema ist. Und dann sind wir doch untereinander sehr homogen. Mit Blick auf verschiedene feministische oder frauenpolitische Orte musste ich feststellen, dass der Erfahrungshintergrund ziemlich homogen ist. Migrantische Frauen sind dort nicht sehr aktiv. Klar, geflüchtete Frauen nehmen an solchen Orten auch die Beratung und Unterstützung bei bürokratischen Problemen wahr, aber der internationale und interreligiöse Austausch findet nicht sehr ausgeprägt statt.

Steffie: Das würde ich mir selber auch, ja vorwerfen? Wir hatten so eine Situation, sehr beispielhaft: wir saßen in der Runde vom Frauenkampftag und haben über unser Logo gestritten, weil dort eine Person mit Kopftuch abgebildet war. Wir haben darüber diskutiert und gestritten und wir waren alle weiß und nicht muslimisch.

Medine: Weil eben von den meisten Menschen automatisch mit dem Kopftuch Unterdrückung assoziiert wird. Dabei schließen sich #Feminismus und das Kopftuch nicht automatisch aus. Bei einer Verwandten von mir zum Beispiel ist das Kopftuch nur ein Symbol. Sie ist damit aufgewachsen und es macht ihr Spaß verschiedene Farben und Modelle auszuprobieren. Andere Frauen wiederum sagen: „Es ist auch feministisch, wenn ich mich dazu entscheide, ein Kopftuch zu tragen.“ MEHR LESEN

Steffie: Du hast ja auch gerade schon von starken Frauen erzählt, die ihr unterstützt.
Gibt es Bewegungen oder Personen, die Vorbilder sind und bei denen ihr sagt, das ist so unsere Tradition von #Feminismus oder gibt es da Anknüpfungspunkte?

Medine: Wir unterstützen mehrheitlich Frauen, die sehr stark benachteiligt sind, von denen wir aber auch wissen, dass sie mit dem Geld, das sie bekommen, verantwortungsvoll umgehen können. Und ich sag es mal so, unser Ziel ist es nicht feministische Frauen zu unterstützen, sondern mit der gestärkten Selbständigkeit aus diesen Frauen Feministinnen zu machen.

Andere Frauen wiederum sagen: „Es ist auch feministisch, wenn ich mich dazu entscheide, ein Kopftuch zu tragen.“ Wenn du von vornherein denkst, die Person ist unterdrückt, dann entsteht ja auch eine Hierarchie im Kopf zwischen dir und ihr. Du musst erst mal ohne Vorurteile, ohne Hintergründe eine Kommunikation auf Augenhöhe zulassen.

Natalie: Was sind denn da die Entscheidungspunkte? Woran macht ihr das fest, dass ihr die eine Person unterstützt und die andere nicht?

Medine: Anhand von Interviews, die wir führen. Wir sprechen ja viele unterschiedliche Sprachen. Die Partnerorganisationen vermitteln uns die Frauen. Dann führen wir per Videozuschalte Interviews durch. Die Frauen, die uns überzeugen, unterstützen wir dann über die Partnerorganisation.  MEHR LESEN

Natalie: Was mich noch interessieren würde ist, was an deinem Engagement ist das, was dich am meisten nervt oder anstrengend ist? Ich glaube das, was das motivierende ist und was dir Freude macht, das hast du bereits erzählt, aber was ist es, was es euch schwer macht?

Medine: Also zum einen ist das die Bürokratie, klar. Zum anderen ist der Umgang mit Geld im Kontext von Entwicklungshilfe immer auch ein sensibles Thema. Wir haben manchmal verschiedene Perspektiven dazu, was ein realistischer Projektansatz ist und manchmal kann es auch passieren, dass wir enttäuscht sind, wenn sich ein Projekt nicht ganz so erfolgreich entwickelt. Manchmal müssen wir uns auch gegenseitig bremsen. MEHR LESEN

Natalie: Uns geht es ja allen so, wenn man sich mit #Feminismus oder auch einfach sozialer Gerechtigkeit beschäftigt und dabei neue Perspektiven kennenlernt, dass man sich ja selbst auch verändert und entwickelt. Kannst du einschätzen, wie sich über die letzten Jahrzehnte migrantische Gruppen oder generell die Frauenbewegung im Nahen Osten verändert haben und hat es euch auch irgendwie begleitet oder merkt ihr im Umgang mit unterschiedlichen Generationen einen Unterschied, wenn ihr mit älteren Frauen zusammen arbeitet oder mit jüngeren, was müsst ihr da beachten?

Medine: Also was Feminismus angeht, ist meine Familie ein gutes Beispiel. Mein Vater ist 1963 nach Berlin gekommen und meine Geschwister und ich wurden sehr streng erzogen. Mein Vater ist Imam gewesen und unser Haushalt war sehr konservativ. Als ich so 10 oder 11 Jahre alt war, musste ich bei den Männern anklopfen und das Teetablett so herein reichen, dass man mein Gesicht nicht sieht. Meine erste #Emanzipation war, als die linken Kurdinnen von der kurdischen Bewegung zu uns nach Hause gekommen sind, mit meinem Vater im Wohnzimmer saßen und gesagt haben: „Nein, deine Tochter soll bitte auch dazukommen und deine Frau auch. Wir wollen mit allen zusammen sitzen“. Das heißt, ich habe eigentlich durch diese Frauen zum ersten Mal Feminismus erfahren.  MEHR LESEN

In Ländern im Nahen Osten heißt Feministin zu sein, gleichzeitig bereit zu sein, dein Leben zu riskieren. Feministisch zu sein, heißt dort gleichzeitig bereit zu sein, Schläge zu kassieren. Feministisch sein bedeutet dort auch Kontakte zu reduzieren.

Steffi: Das wirkt ja dann auch zusammen. Es gibt ja zum Beispiel auch rassistische, stereotype Bilder von schwarzen Frauen, wo dann #Rassismus und Sexismus zusammenkommen, auch strukturelle gesellschaftliche Bedingungen angeht.

Medine: Ich glaube es war die Bundesintegrationsbeauftragte, die folgende Situation geschildert hat: Vier Personen bewerben sich um einen Ausbildungsplatz. Davon ist eine ein weißes deutsches Mädchen, einer ein weißer deutscher Junge, einer ein arabischer Junge und eine ist ein arabisches Mädchen. Bei der Bewerbung hat der weiße Junge mehr Chancen als das weiße Mädchen, an der dritten Stelle kommt der arabische Junge und an vierter Stelle das arabische Mädchen. Ich habe mir gedacht: „Und wenn das Mädchen auch noch schwarz ist und Kopftuch trägt, dann hat sie verloren“. MEHR LESEN

Natalie: Also ich hätte jetzt noch tausend weitere Fragen, die aber den Rahmen sprengen würden. Deshalb würde ich zum Abschluss noch fragen, ob es vielleicht für dich noch offene Punkte gibt, die du gerne noch über „Frauen für den Nahen Osten“ sagen möchtest, nach denen wir bisher gar nicht gefragt haben?

Medine: Ja ich habe schon noch einen Appell an alle Frauen: Es reicht nicht, nur Missstände anzusprechen. Wir müssen mit betroffenen Frauen, egal wo sie leben oder welchen kulturellen oder religiösen Hintergrund sie haben, Zeit verbringen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Dann können wir mit ihnen gemeinsam – interreligiös und #interkulturell – die Dinge ins Rollen bringen und auch voneinander lernen. Also mein Appell lautet: Geht auf sie zu, fragt nach und bekommt andere feministische Sichtweisen mit, weil das kann förderlich sein für beide Seiten. Und ich kann gerne die Koordination übernehmen für diese Art von Zusammenkommen. Es gibt ja auch den Dachverband der Migrantinnenorganisationen kurz DaMigra. Über ihn gibt es beispielsweise auch Möglichkeiten, mit migrantischen Frauen in Kontakt zu kommen. MEHR LESEN

Steffi: Vielen Dank für deine Zeit und deine spannenden Perspektiven und oft auch klaren Worte.

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