Interview mit Yvonne Maul vom Frauenkommunikationszentrum BINKO in Hildburghausen
Im Interview sprachen wir mit ihr über die Entstehung des BINKO, die Herausforderungen der Arbeit im ländlichen Raum und unter schwierigen strukturellen Bedingungen sowie über ihre Zukunftsträume von einem Mehrgenerationenprojekt in Hildburghausen.
Das Interview führten Natalie und Sabine am 21. Dezember 2020.
Das Frauenkommunikationszentrum BINKO in Hildburghausen gibt es seit 2001. Es ist seit 2018 in der Trägerschaft der Diakonischen Sozialen Dienste Sonneberg und richtet sich vorrangig an Frauen, aber auch an Eltern, unabhängig vom Alter, ihrer Herkunft, ihrem Aufenthaltsstatus und ihren finanziellen Bedingungen. Sie finden dort Unterstützung und Beratung für Frauen als Hilfe zur Selbsthilfe und in besonderen Lebenslagen und einen Ort der Begegnung, der Kommunikation und der Information, aber auch Bildungs- und Kulturveranstaltungen.
Sabine: Hallo Frau Maul. Sie arbeiten in Hildburghausen ganz im südlichen, ländlichen Thüringen, an der Grenze zu Bayern. Welche Herausforderungen begegnen Ihnen dort?
Nach fast 20 Jahren ist als Hauptbestandteil der Tätigkeit ist im Prinzip die offene Seniorenarbeit mit Frauen übriggeblieben, was die Arbeit des Frauenzentrums angeht. In den Anfängen vor neunzehn Jahren war es vor allem die Qualifikation von arbeitssuchenden Frauen, die durch die Wende ihre Arbeit verloren hatten. Da gab es noch ganz viele Frauen, die nachqualifiziert und umgeschult werden mussten. Zu diesen Maßnahmen ist flankierend das Frauenzentrum eröffnet worden, zusammen mit einer Schuldnerberatung und einem Bewerbungszentrum, als Komfortzone für Frauen aus einem Guss. Das eigentlich Feministische stand nicht so im Vordergrund wie vielleicht in Erfurt – diese Zielgruppe erscheint hier nicht. Die Zielgruppe Transgender tritt eher nicht in Erscheinung und wir haben auch wenig gleichgeschlechtliche Paare oder Anfragen dazu. Die suchen sich dann gleich irgendwo in größeren Städten eine Community – das wird hier auf dem Land nach wie vor schwierig. Die Vorstellung für queeres Leben ist auch hier im ländlichen Raum nicht da. Ich kenne viele Frauen, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingehen würden, dass aber nicht wollen und diese Frauen sind sehr verschwiegen zum Thema. Das ist auch der Generation geschuldet. Junge Menschen, welche mit dem Selbstverständnis aufwachsen sind, dass egal wie sie sind, sie als Mensch wertgeschätzt werden, die gehen gleich in die größeren Städte oder gehen in Foren oder Chats oder suchen sich eine eigene Community. Das erlebe ich hier so. MEHR LESEN
Es macht mich nachdenklich, dass wir Frauen seit Jahrzehnten auf die Straße gehen und am Ende werden wir wieder bevormundet und erleben strukturelle Gewalt. Wir nehmen eine Tendenz der #Verwahrlosung bei einigen Seniorinnen wahr – Abhängigkeiten von zum Beispiel Alkohol oder Tabletten. „Übergriffig“ in den Altersheimen will ich es nicht nennen, aber wohlwollend werden Seniorinnen gestreichelt und berührt, um Ängste zu nehmen oder Nähe herzustellen. Jedoch manchmal können wir nicht einschätzen, ob das so von den Frauen gewollt wird. Unser Kampf um Unversehrtheit, Eigenbestimmung und Selbständigkeit nimmt im Alter eine unerwartete Wendung. Das ist mir und sicherlich vielen anderen Menschen in der Frauenbewegung so noch nicht bewusst gewesen. Deshalb habe ich die Anbindung zum #Seniorenbeirat gesucht, damit ich die Anliegen und Bedenken der Damen, welche regelmäßig das Frauenzentrum besuchen, mit kommunizieren kann. Aber solche Aktionen wie der #One Billion Rising sind hier im Landkreis nicht abbildbar.
Meine Vorgängerin stand wie ich vor folgendem Problem: bestimmte Dinge ploppen hier einfach nicht auf und werden auch nicht abgefragt. Dafür eben ganz andere Dinge, die in Erfurt, Jena, Weimar überhaupt keine Rolle spielen – noch nicht. Das sind so die Besonderheiten. Aber es ist schon bitter wenn man sieht, dass Frauen selbstbestimmt leben wollen und das auch schaffen, ohne Partner und finanziell auskömmlich. Senioren und Seniorinnen müssen sich leider auch im letzten Lebensabschnitt mit dem Thema Selbstbestimmung, Unversehrtheit auseinandersetzen- das muss man auch auf den Schirm kriegen, auch in den größeren Städten.
Sabine: Ja, absolut. Deswegen ist es ja dann auch super wichtig, dass es eine Anlaufstelle gibt und das es wenigstens den Ort gibt, wo das thematisiert wird, wo sich Menschen dafür einsetzen. Wie ist denn das mit Ehrenamtlerinnen? Erhalten Sie da noch Unterstützung?
Yvonne: Nun, zu großen Veranstaltungen oder besonderen Highlights, dann sind immer Ehrenamtliche da. Wir sprechen die Frauen gezielt an und Fragen nach um Hilfe und Unterstützung. Oder man nutzt dann ein Format, dass es schon gibt und wo es einen Ansprechpartner gibt. Jedoch eine eigene Dynamik mit, ich nenne es mal „Arbeitsgruppen“, konnten sich leider nicht etablieren. Nein- die Sozialisation der Frauen in der DDR bringt mit sich, dass wenig Eigeninitiative entstehen konnte. MEHR LESEN
Zum Frauentag 2020 gab es eine Gründungsinitiative „Chor für einen Tag“. Wichtig ist für mich die Erkenntnis, dass ist kein Selbstläufer. Ich muss schon ein wenig die Strukturen vorgeben und den Kontakt zu den Frauen halten. Das ist ganz schwierig, auch durch den Flächenlandkreis. Die Leute sind nicht innerhalb von zehn Minuten beieinander, sondern man muss sie wirklich aus allen Ecken einladen. Diese Flächigkeit des Landkreises bedingt auch, dass ich an bestimmte Frauen gar nicht heran komme.
Und es gibt ganz viele unterschiedliche Formate, in welchen Frauen und Seniorinnen auch schon aufgehen – in Gesangsvereinen, in Heimatvereinen und in Trachtenvereinen. Aber das ist jetzt auch nicht schlimm. Bis jetzt haben wir immer Unterstützer, Helfer und Ehrenamtliche gefunden, um das umzusetzen, was wir vorhatten. Diejenigen Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren, die sind schon bis zum Anschlag – die helfen in der Tafel, die machen offene Kirchenarbeit, die sind Pflegebegleiter und die sind Hospizbegleiter. Wahrscheinlich ist das überall ähnlich, dass die, die sich ehrenamtlich engagieren, auch dann wirklich überall wieder zu finden sind.
Natalie: Ich würde nochmal ganz kurz gern auf die Entstehungsgeschichte eingehen. Sie haben ja gesagt, Sie sind schon seit sechs Jahren dabei, könnten Sie uns da noch ein bisschen erzählen wie das BINKO entstanden ist?
Yvonne: Vor neunzehn Jahren wurde das BINKO im März gegründet, das war sogar analog mit einer Frauentagsfeier. Damals noch unter der Trägerschaft der Frauenakademie. Ein ganz formidabler Name, der aber irreführend war. Die Leute sind davon ausgegangen, dass es eine Akademie ist, es also eine akademische Ausbildung oder Qualifikation gibt. Der Name war ein bisschen heroisch angehaucht und das hat auch zu Verunsicherungen geführt und dann haben sie es auch noch BINKO mit K genannt, also Bildung, Information und Kommunikation. Dies sind unter anderem die Gründe, dass es nicht so im Bewusstsein verankert wurde, weil es eben auch keinen regionalen Bezug in der Benennung gibt. Man hätte es auch “Therese”, das ist die Prinzessin von Hildburghausen, oder “die Dunkelgräfin” nennen können. BINKO – da denken die Leute immer an Glücksspiel. MEHR LESEN
Durch den Betriebsübergang sind wir jetzt schon das zweite Jahr in einer anderen Trägerschaft. Und wie gesagt, am Anfang war das Frauenzentrum begleitend, damit noch eine Personalstelle da ist für die Frauen, die in der Frauenakademie qualifiziert wurden, die Schuldnerberatung in Anspruch genommen haben und dass einfach auch Alleinerziehende zweimal in der Woche die Möglichkeit haben bei einem Angebot soziale Kontakte zu pflegen. Es diente dem Informations- und Wissensgewinn und es gab Vorträge zu verschiedenen Verbraucherthemen.
Diese Frauenspezifik – dieses Feministische – das war eigentlich nie der Hauptfokus, sondern das Begleitende, von dem, was schon da war. Also es gab keine Gründungsinitiative, wo mehrere Frauen gesagt haben: „Jetzt müssen wir aber wieder mal für unsere Rechte einstehen!”, oder dass Frauen, die von Gewalt betroffen waren, sich zusammengetan haben. Das war es nicht. Durch die vorhandenen Strukturen passte sich das Frauenzentrum an- wie ich finde gut, sonst gäbe es keinem Zulauf seit so vielen Jahren. Auch dass der Initiator des Frauenzentrums ein Mann war, ist wohl unüblich. Von daher hat es eine ganz andere Dynamik bekommen als vielleicht in anderen Frauenzentren.
Das ist die Geschichte. Dadurch, dass dort Frauen in den Anfängen qualifiziert wurden und dort auch 1-Euro-Beschäftigungen waren, gab es dann auch einen größeren Pool von Ehrenamtlichen. Die haben zum Beispiel Theaterkostüme genäht, sind in Altersheime und haben dort Beschäftigungsangebote gemacht. Ja, da war schon viel mehr möglich.
Also Stichwort Mettigel auf dem Buffett, keiner will ihn mehr, aber er wird immer drauf gestellt, schön mit Nelken und Salzstangen.
Natalie: Sie haben erzählt, dass Sie Schwierigkeiten haben die Leute aus den verschiedenen Regionen zu erreichen. Ist das eine aktuelle Problematik oder beschäftigt das das BINKO schon länger?
Yvonne: Die Besonderheit, dass das Frauenzentrum jetzt nicht so eine zentrale Anlaufstelle wurde für die Bedarfe der Frauen, das war von Anfang an dem Flächenlandkreis geschuldet. Vor dreißig Jahren waren die Frauen, die jetzt siebzig oder fünfundsiebzig sind, in Arbeit. Teilweise schon fast ihr ganzes Leben, waren dort in Ausbildung, wo sie lebten und hatten kein Fahrzeug und keinen Führerschein, das ist nach wie vor so. Also die konnten und können auch gar nicht mobil nach Hildburghausen kommen und dadurch, dass nur eine Personalstelle gefördert wurde, konnten die Angebote und Beratungen nicht auf den ganzen Landkreis übertragen werden. Außensprechstunden waren organisatorisch und finanziell kaum durchführbar. MEHR LESEN
Das sich diese Situation kaum geändert hat, hat hauptsächlich strukturelle Gründe. Wir sind nach wie vor ein Landkreis mit fast Vollbeschäftigung. Es gibt so gut wie keine arbeitssuchenden Frauen und wenn, dann sind die in einer Maßnahme bei einem Bildungsträger, vor allem Alleinerziehende. Aktuell gehen die Alleinerziehenden dort nur vormittags hin. Meine offenen Veranstaltungen sind nachmittags und zweimal kommen die nicht.
Wir haben viele Auspendler, die zwar in Hildburghausen wohnen, aber einkaufen und kulturell unterwegs sind, dort wo sie arbeiten. Viele pendeln Richtung Coburg, Bamberg, Hassfurt oder Ebern und die treten nicht in Erscheinung, die holen sich das in ihrem Kontext, wo sie arbeiten. Und dann sind in den letzten zehn Jahren unwahrscheinlich viele Vorschaltmaßnahmen in ganz Thüringen entstanden. Da sag ich nur Stichwort Schulsozialarbeiter – also junge Mädchen, die um Rat und Hilfe suchen, machen das in den Schulen bei ihren Schulsozialarbeitern. Alleinerziehende Frauen, die Rat und Hilfe suchen, machen das in den Maßnahmen vom Arbeitsamt. Wir haben das #Hilfetelefon bundesweit kostenfrei. Es gibt also viele Maßnahmen, die vorweg geschaltet werden in anderen Settings, in welchen Frauen und Mädchen, die Rat und Hilfe suchen, schon gar nicht mehr ins Frauenzentrum kommen. Wir haben einen Überhang an Sozialberatungsstellen. Die Flüchtlingsfrauen, die vor 5 Jahren hierhergekommen sind, die gehen ins Kleiderlädchen und zur Sozialberatung, die dort angeboten wird. Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund gehen auch in das ansässige #Sozialkaufhaus in Verbindung mit dem „Pfennigladen“ und dem Bewerbungszentrum.
Der vorherige Verein war als Träger nicht sehr entscheidungsfreudig neue Projekte mit einzuholen oder mit dranzuhängen. Und der neue Träger hat zwar den Mut gehabt, das Projekt Frauenzentrum weiterzuführen, aber dies hat jetzt auch wenig Stellenwert im Gesamtunternehmen, weil es zieht keinen Gewinn. Es ist ein durchlaufender Posten. Es bräuchte schon eine Projektentwicklung inhaltlicher und organisatorischer Struktur, erarbeitet von mehreren „Köpfen“. Es gab eine Gründungsinitiative, eine #Bürgerstiftung, aber das ist alles so schwierig. Oft hab ich das Gefühl: „Jetzt konzentrierst du dich mal auf etwas planerisch nachhaltiges, erweiterndes!“ Dazwischen kommen dann leider unvorhergesehene Aufgaben wie die Suche eines neuen Trägers, Konzeptionen erarbeiten, strukturelle Probleme. Die Mitarbeit in Gremien ist für solche Prozesse unerlässlich. Deshalb habe ich Anlauf in den Kreistag und den #Seniorenbeirat genommen – und geschafft.
Ja, es gab schon große Veränderungen von den Rahmenbedingungen her. Durch die zentrale Lage mit wenig Barrieren kommen die Frauen gerne zu uns. Die Stadt Hildburghausen ist der Nutznießer des Zentrums, ohne einen Cent dazu zu geben. Das Zentrum ist jedoch für den gesamten Landkreis. Gerne gehe ich auf Einladung auch in die #Planungsräume zu Gruppen und Gemeinschaften. Jedoch mit feministischen Themen brauche ich da nicht zu kommen. Wir haben mal mit der #Gleichstellungsbeauftragten zusammen diese beeindruckende Ausstellung „In der DDR Geschiedene Frauen“. Die Ausstellung erfuhr wenig Resonanz. Ebenso zum Thema führten wir eine informative Buchlesung mit einer Autorin durch. Hier gab es sehr schwierige Diskussionen. Ich weiß auch nicht warum die Themen einfach nicht bedient werden können.
Selbst das Thema „In der DDR geschiedene Frauen“, was ja wirklich viele betrifft, da war völliges Desinteresse. Und selbst das Angebot, dass sie dann das Frauenzentrum als Plattform oder als Treffpunkt nutzen und ich mich um Mailverkehr und Telefonkommunikation kümmere – nee – keine eigene Initiative. Es ist … schwierig.
Natalie: Da wäre die Frage, wenn Sie eine Sache sofort ändern könnten, was wäre das? Aber ich glaube das wäre das Wort Eigeninitiative, stimmt das?
Yvonne: Nein, diese Frage würde ich eher mit der Zielgruppenerweiterung beantworten. Es ist nicht mehr zeitgemäß mit nur einer Zielgruppe. Wenn ich sehe, wie sich ein #Hospiz – Verein gegründet hat und was da für ein Zulauf ist und für eine Spendenbereitschaft und auch ehrenamtliches Engagement, da wünsche ich mir eigentlich ein großes Haus für viele Generationen und dass ich dort ein Angebot von vielen bin. Und hier im BINKO treffen sich heterogene Gruppen, das heißt Frauen aus verschiedenen „Schichten“ sitzen zusammen und sie eint, dass sie alt und einsam sind. Wir sind im Prinzip die Vorstelle zum Altersheim. In die Volkshochschule wollen sie nicht mehr, weil sie sich nicht verbindlich anmelden wollen über ein viertel Jahr und auch nicht in Vorkasse gehen wollen. Fürs Altersheim sind sie noch zu fit – also kommen sie zu mir. Aber schöner wäre es, wenn sie homogen wären, wenn sie sich einfach nach ihren Interessen und Neigungen und ein Stück weit auch nach ihrem Bildungsgrad treffen könnten in Gruppen. Das kann ich hier mit schlechten Rahmenbedingungen und nur einer Personalunion nicht ableisten. Da muss ein #Mehrgenerationenhaus her oder eine Begegnungsstätte, wo einfach differenziert werden kann. MEHR LESEN
Wir haben im Landkreis ein Mehrgenerationenhaus, das ist aber ca. 30 km weit weg, in Richtung Heldburg. Diese #Planungsräume und diese Flächigkeit erschwert alles. Wobei wir jetzt eine ganz tolle #Sozialraumplanerin haben, die auch wirklich versuchen will in jedem Planungsraum gleiche Bedingungen zu schaffen und mit der Verwaltung auch technische Voraussetzungen geschaffen sind. Eine mögliche Idee ist auch, Referenten und Veranstaltungsformate in den Planungsräumen zu teilen. Das dauert natürlich. Und wir brauchen uns nichts vormachen, Corona haben wir nächstes Jahr auch noch an der Backe und planerisch wirft uns das so sehr zurück. Wir haben nicht nur einen Investitionsstau, wir haben einen wirklichen Planungsstau.
Was ich mir wünsche, ist einfach eine Zielgruppenerweiterung, insgesamt die Zielgruppe „Familie“. Ich weiß zum Beispiel aus Jena, da werden auch sämtliche Männer ausgeschlossen, sogar männliche Referenten, das können wir uns hier gar nicht leisten. Und ich finde das auch nicht tolerant. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin des „#Weissen Ring e.V.“ berate ich Männer und Männer sind auch Gäste bei verschiedenen Veranstaltungen im Frauenzentrum. Ich schicke keinen Gast oder Interessierten weg. Das #Landesprogramm Familie fasst ja den Begriff Familie sehr groß. Indirekt bediene ich ja schon mehrere Zielgruppen, es wäre schön, wenn es auch offiziell solch eine Anlaufstelle wäre.
Natalie: Wie lange gibt es den neuen Träger schon? Und gibt es Überlegungen die Personalstellen aufzustocken?
Yvonne: Der Träger ist schon viele Jahre ein etablierter Anbieter verschiedener sozialer Dienstleistungen. Das Frauenzentrum ist nun seit März 2019 im Portfolio. Der neue Träger übernahm des Zentrums in „Bausch und Bogen“. Eine Erweiterung des Projekts personell, inhaltlich oder räumlich kommt erst 2021 auf den Tisch, denn dann wird der neue Sozialraumplan aufgestellt und der Bestandsschutz der Frauenzentren thüringenweit fällt weg. Also Stichwort Mettigel auf dem Buffett, keiner will ihn mehr, aber er wird immer drauf gestellt, schön mit Nelken und Salzstangen. MEHR LESEN
Die Fördergelder sind im Prinzip bis 2022 eingefroren. Wir als Frauenzentren durften ja gar nicht mehr beantragen als vor dem #Landesprogramm. Ich mache schon neue Arbeitsfelder auf, um ein Stück weit meine Daseinsberechtigung zu sichern. Wir haben zum Beispiel in Kooperation mit der Volkshochschule für den Digitalkompass mit dem Standpunkt Hildburghausen einen Zuschlag bekommen von über hundert Bewerbungen. Ach, zweihundert Bewerbungen glaub ich. Wie wir das geschafft haben? Sicherlich weil wir ehrlich und authentisch waren und den Bedarf solcher Angebote in unserem Landkreis darstellen konnten, und so können wir auch die Zielgruppe Seniorinnen mit Digitalen Angeboten versorgen ab dem nächsten Jahr.
Ich arbeite sehr eigenständig und habe auch eine „lange Leine“ vom Träger. Zum Beispiel haben wir wegen einer 450 Euro Stelle beim Träger angefragt, damit die Geschäftsstelle besetzt ist, wenn wir außer Haus sind oder in Gesprächen sind oder Veranstaltungen laufen, aber nein. Also das ist auch die Rückmeldung von anderen Frauenzentren, die zu Trägern gegangen sind wie der Lebenshilfe oder der AWO. Dass dann das Individuelle einfach verloren geht, weil man eines von vielen Projekten ist und man einfach keine Priorität hat. Wohingegen zum Beispiel die Brennnessel, die ja noch in eigener Trägerschaft ist, wo der Vorstand auch die Geschäftsführung innehat, da ist das natürlich anders, als wenn man in so einem großen Gebilde ist. Aber immerhin war der Träger so mutig zu sagen: „Ok es ist Plus/Minus-Null, wir können keine Gelder schöpfen für Investitionen, aber wir machen das“.
Also den Mut hatte der neue Träger, der alte wollte das Projekt abgeben, weil es defizitär war, also die Gelder des alten Trägers der Frauenakademie waren so weit abgeschmolzen, dass sie Angst hatten insolvent zu werden. [/read less]
Natalie: Ich hätte nochmal eine Nachfrage zu diesem Digitalkompass, was kann ich mir darunter vorstellen, weil das klang so interessant und ich habe auch Sabines freudiges Gesicht wahrgenommen. Ob Sie da vielleicht nochmal ein bisschen mehr dazu erzählen könnten?
Yvonne: Der Digitalkompass wird bundesweit an einhundert Standorten umgesetzt. Die Standorte sind verschieden, Volkshochschulen, Mehrgenerationenhäuser, Seniorenclubs oder Familienzentren. Und in Berlin ist die koordinierende Stelle, die digitale Formate wie Vorträge, Stammtische oder Fragestunden zu speziellen Themen vorhält sowie für jedes Themengebiet auch Handreichungen, sodass vor allem Senioren sich dann zuhause auch nochmal in aller Ruhe alles durchlesen können. Zum Beispiel wie geht ein Smartphone an und aus – sehr niedrigschwellig. Für uns als Standort ist das wirklich eine Komfortzone, also man bekommt Visitenkarten, ein Rollup, eine Fußmatte und Aufkleber gestellt und kann selbst technische Ausstattung ausleihen. Das ist alles evaluiert, auch die Vorträge, sodass man wirklich nur einladen muss und dann kann man loslegen. Das ist ein sehr großer Vorteil, weil das dann hier als Projekt nicht erarbeitet werden musste. Wir haben mit dem Landesfilmdienst Thüringen – den dortigen „Medienmentor*innen für Senior*innen“ – geschult dieses Jahr, das wurde in Kooperation mit der Volkshochschule gemacht. Die arbeiten nach dem Prinzip Senioren für Senioren, das ist ganz niederschwellig. Der Bedarf ist auch einfach da, dass die Senioren miteinander in Verbindung bleiben.
Sabine: Gibt es feministische Kämpfe in der Vergangenheit oder aktuell, mit denen Sie sich verbunden fühlen, die Vorbilder sind oder eine Grundhaltung in der Arbeit?
Yvonne: Als ich mich auf die Fragen vorbereitet habe, habe ich überlegt, wer denn mein Vorbild ist? Ich glaube dadurch, dass ich zu DDR Zeiten groß geworden bin, hab ich mich eigentlich nie gefragt: „Was will ich als Frau?“, weil für uns war das immer selbstverständlich. Das erste Mal, als ich mich selber gefragt hab, ob das jetzt Glück war oder nicht, war bei einer Weiterbildung. Dort hat eine Dame aus den alten Bundesländern gesagt „Ihr Ostfrauen, ihr wisst doch gar nicht wie gut ihr es hattet“. Also das war mir nicht bewusst, das waren Selbstverständlichkeiten, die wir hatten. Dass eine Frau alleine ihre Kinder großziehen kann, dass sie staatliche Unterstützung bekommt, dass sie Kaufverträge abschließen kann, dass sie sich Arbeit suchen kann, dass sie abtreiben kann, dass sie verhüten kann. Mit diesem Selbstverständnis bin ich groß geworden. Und auch in meinem Umfeld haben Frauen und Männer gleichberechtigt ihr Leben gestaltet. Von daher hab ich das nie hinterfragt, dass kam eher mit dem Älterwerden, wo ich dann gedacht hab: „Ach guck an, so einfach hatten es andere gar nicht“.
Gefallen hat mir immer diese Regine Hildebrandt, diese Politikerin aus Brandenburg, die leider schon verstorben ist. Dieses beim Namen nennen und sie hat ja jetzt nicht nur speziell für Frauen gekämpft, aber sie hat sich eingesetzt.
Und ja, wichtig ist mir natürlich die Unversehrtheit, wenn man selber Mutter ist – ich hab eine Tochter – das wünscht man sich glaube ich für jede Frau und für jedes Mädchen, dass sie unversehrt bleiben.[/read]
Dass eine Frau alleine ihre Kinder großziehen kann, dass sie staatliche Unterstützung bekommt, dass sie Kaufverträge abschließen kann, dass sie sich Arbeit suchen kann, dass sie abtreiben kann, dass sie verhüten kann. Also mit diesem Selbstverständnis bin ich groß geworden.
Natalie: Bleibt noch die Frage nach dem in zwanzig Jahren, wie sieht die Situation in Hildburghausen in zwanzig Jahren aus? So als kleine Utopie vielleicht?
Yvonne: Reell weiß ich schon, wie es in zwanzig Jahren aussieht. Also heroisch gesagt wäre es schön, wenn in zwanzig Jahren ein Frauenzentrum nicht mehr notwendig ist, was jetzt so frauenspezifische Themen angeht. Allein die Evolution wird es nicht zulassen, dass irgendwann Männer und Frauen gleich sind, das hat die Natur nicht vorgesehen. Und die Frage ist ja auch, wer soll denn die Sorgeleistungen übernehmen. Schön wäre es, wenn über diese Rollenbilder irgendwann gar nicht mehr diskutiert werden muss. Wichtig ist es, Strukturen zu schaffen, da muss man schon darüber sprechen, wer übernimmt welche Aufgabe, Sorgeleistung. Wer bleibt bei den Kindern zuhause, wer macht die Sorgearbeit, wer kümmert sich um die Angehörigen. Und rein biologisch ist die Frau diejenige, die die Kinder bekommt, das ist einfach so. MEHR LESEN
Es macht ja auch was mit den Frauen, dieses Mutterwerden, dieses Sorgen, das macht was mit uns und es ändert die Sichtweise. Es lenkt von einem selber ab, Dinge werden weniger wichtig oder es kommen andere Prioritäten. Es wird immer Unterschiede geben und es wird immer weitergekämpft werden. Was auch gut ist, dass man sich nicht mit dem zufrieden gibt, was man erreicht hat. Aber wir sprechen teilweise von Nuancen. Wir kämpfen nicht mehr um ein Wahlrecht, wir kämpfen auch nicht mehr um die Gleichberechtigung im gesellschaftlichen Leben im Großen und Ganzen. Natürlich erlebe ich bei Beratungen noch, dass es in den eigenen vier Wänden anders aussieht. Daher ist es auch wichtig, dass es an die jungen Leute schon herangetragen wird: Was will ich in einer Partnerschaft, was kann ich erwarten, was kann ich nicht erwarten. Also das sollte nicht erst anfangen, wenn ein Mädchen zur Frau wird, das sollte für Jungs und Mädchen eigentlich schon in der Grundschule anfangen. Die Ethik des Zusammenlebens.
Und dann ist es bei mir persönlich so, wenn man es runterbricht auf die Wirklichkeit – ich kann noch so feministisch und selbstbestimmt sein, am Ende, wenn man ein bestimmtes Lebenskonzept eingeht und auch Familie gründet, fällt man auf ein traditionelles Rollenbild zurück. Mein Mann und ich haben uns entschieden, dass ich Teilzeit arbeite und rein finanziell ist er derjenige, der immer das Geld nach Hause bringt, das heißt alles regelt sich an ihm runter. Also ich kann noch so feministisch sein, aber strukturell hänge ich bei ihm dran und die ganze Familie. Und das sind einfach Prozesse, die werden sich auch die nächsten zehn Jahre, bis meine Kinder groß sind, nicht ändern. Ich kann noch so kämpferisch und selbstbewusst sein, aber jede Entscheidung, die ich treffe, zieht auch andere Dinge nach sich. Und auch das muss den Frauen bewusst sein, dass das normal ist und dass sie deswegen aus der Bahn geworfen sind.
In zwanzig Jahren wünsche ich mir, dass es ein großes Zentrum gibt im Landkreis, wo die verschiedenen Angebote und auch das Frauenzentrum mit einmünden. Thematisch ticken Frauen schon anders und benötigen Räume, in welchen Männer einfach nichts zu suchen haben. Umgekehrt aber auch – dass Männer Rückzugsräume haben. Ich fand zum Beispiel schön – wir waren in einem Mehrgenerationenhaus in Bayern und sie haben dort eine Witwergruppe. Sie haben sich in einer WhatsApp-Gruppe vernetzt und kochen. Sie sind die Perlhuhngruppe, sind alle verwitwet und können nicht kochen. Sie haben sich jetzt zusammengetan, damit sie das Kochen lernen, damit sie sich selbst versorgen können und das finde ich auch schön. Dass sie jetzt nicht auf die Suche nach einer willigen Frau gehen, die sie dann wieder bekocht, sondern dass sie eine eigene Initiative gründen. In diesem Raum gibt es keine Frau, die reinquatscht und sagt: „Ihr lernt jetzt erst mal Bratkartoffeln”. Nein, das erste Gericht, was sie gekocht haben, war Rehrücken. Ein individuelles Setting für jede Zielgruppe wäre schon toll. In diesem Mehrgenerationenhaus nehmen die dann die Küche in Beschlag und gehen nach drei Stunden wieder raus und waren unter sich.
Natalie: Was sind denn so Erinnerungen der letzten sechs Jahre, an die Sie gerne zurückdenken im Rahmen Ihrer Arbeit? Was waren Höhepunkte, was hat Sie empowert, was hat jemand anderem gut getan, was sind da so die Erinnerungen, die sofort aufgeploppen gerade?
Yvonne: Das ist zum einen die jährliche zentrale Frauentagsfeier für den Landkreis, das ist immer ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Am Anfang hab ich gedacht: „Gleich kommt die Margot Honecker, mit Grußworten und Nelken“. Teilweise erhielten die Frauen eine Nelke von den anwesenden Vertretern der Partei „Die LINKE“. Ich hader immer noch mit den Nelken, das erinnert mich noch so an DDR. Aber die Frauen empfinden das immer als wunderbar, dass sie da den Nachmittag zusammensitzen, der Landrat sagt was, der Bürgermeister sagt was, die Kommunalpolitiker oder die Landespolitiker sagen was. Wir haben stets ein ansprechendes kulturelles Programm und die genießen das. MEHR LESEN
Eine sehr schöne Veranstaltung hatten wir in Kooperation mit der Koordination Selbsthilfe zum Thema „Resilienz – was uns stark macht“, zu Gast war Christina Berndt aus München da, die ein Buch dazu geschrieben hat und musikalische Umrahmung von einem Duo. Der Sänger schreibt selbst die Lieder, Lieder für die Seele, und ist selber betroffen von Depressionen. Diese Veranstaltung war sehr eindrücklich und wie verletzlich doch solche Menschen sind und sich dann trotzdem einer Selbsthilfegruppe voranstellen und sagen: „Obwohl es mir selber so dreckig geht, helfe ich noch anderen”. Also es war eine Dynamik in der Veranstaltung, dass die Dame aus München schier begeistert war, wie ihr Buchvortrag begleitet wurde. Zu Gast war ein gemischtes Publikum – nicht nur Frauen, sondern auch Angehörige sowie Rat- und Hilfesuchende. Das war so das Highlight.
Bei uns ist ja #strukturelle Gewalt im Alter das Thema und deshalb gab es zum Tag gegen Gewalt gegen Frauen eine sehr schöne Filmveranstaltung mit „Paulette – die etwas andere Oma“, die im Alter Drogen vertickt, weil sie kein Geld hat, um zum Friseur zu gehen. Da musste ich mich kämpferisch durchsetzen, die anderen hätten gern so was Schweres gehabt wie Die Farbe Lila. Wir haben uns dann gemeinschaftlich für den Film “Paulette” entschieden und hatten auch ein großes Publikum.
Zum Frauentag 2020 gab es eine Gründungsinitiative „Chor für einen Tag“, den gegründeten Chor wollten wir zuerst “Die alten Schachteln” nennen. Wie viel Freude die Frauen haben, sie sagen: „Mensch für einen Chor reicht es nicht mehr, ich will nicht mehr verbindlich jede Woche zweimal proben, mir sind die Auftritte zu viel, ich hab Arthrose ich kann nicht mehr stehen“. Es war für sie so eine Freude, dass sie so unverbindlich singen können. Unverbindliche Angebote sind eigentlich das Stichwort.
Sabine: Bevor wir zum Schluss kommen, gibt es noch etwas, wonach wir noch gar nicht gefragt haben, was Sie aber gerne noch loswerden möchten?
Yvonne: Nein, aber Ich danke auf jeden Fall für das Interesse. Es ist schön, dass mal jemand von außen interessiert ist, was wir hier so auf dem Land machen.
Sabine: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und für die interessanten Perspektiven.
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